Zunächst war mein Leben geprägt durch meine Verletzungen, Behandlungen und Operationen, die auch heute noch nicht abgeschlossen sind. Die Operationen wurden alle in Koblenz im Bundeswehrkrankenhaus durchgeführt. Ich wollte soweit wie möglich wieder ein selbständiges Leben führen. Zwischen den Krankenhausaufenthalten und Rehamaßnahmen war ich Zuhause in meiner alten Wohnung. In dieser Zeit lernte ich schon meine jetzige Frau kennen. Eine Beziehung wollte ich nicht eingehen. Zu groß war mir das Risiko, dass wieder etwas Schlimmes passiert.
Durch die Art des Unglücks hatten die meisten Verletzten wie fast immer bei Flugzeugabstürzen üblich mit Brandverletzungen zu kämpfen, an deren Folgen auch viele Menschen noch Wochen später starben. Ich selbst hatte Verbrennungen von über 60% der Körperoberfläche. Glücklicherweise war mein Gesicht nicht zu stark betroffen. 1988 war es fast unmöglich mit diesen großflächigen Verbrennungen zu überleben. Wochen später hatte ich es doch geschafft. Welch psychischer Druck in dieser Zeit auf meinen Angehörigen lastete, brauch ich wohl nicht zu beschreiben.
Leitender Arzt auf der Verbrennungsmedizin im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz war damals Doktor Klammer. Zusammen mit seinem Team die über Wochen hervorragende Leistung vollbracht haben, rettete er mir das Leben.
Wieviel Schmerzen Verbrennungen erzeugen, kann man sich nicht vorstellen. Selbst die stärksten Schmerzmittel zeigten nicht mehr viel Wirkung. Hinzu kamen Sorgen über meine Zukunft. Ich wurde von einer Sekunde auf die andere aus dem Leben gerissen. Vor dem 28. August war ich ein gesunder, junger Mann. War aktiv im Schützenverein, besuchte jahrelang ein Sportstudio, hatte einen Beruf, der auch körperlichen Einsatz forderte.
Viel schlimmer als der körperliche Schmerz war natürlich der Verlust meiner „kleinen“ Familie. Es war August 1983 als unsere Nadine geboren wurde. Carmen war 16 und ich gerade 18 Jahre alt. Meine Lehre als Schreiner war gerade zu Ende und wir hatten mit vielen Problemen zu kämpfen. In der näheren Familie fanden wir hauptsächlich bei meiner Mutter und Großmutter Unterstützung . Mit meinen Schwiegereltern und meinem Vater hatten wir zu der Zeit keinen Kontakt mehr. Uns wurde nahe gelegt, unser Kind abtreiben zu lassen. "So jung und schon schwanger ...", " Das kann nie gut gehen mit euch...". Das waren so die Sätze, die man zu hören bekam. Trotzdem entschieden wir uns für unser "Kleines". Es war eine schwierige Zeit, aber auch mit die Schönste, die ich erleben durfte. Meine eigene Kindheit war nicht unbedingt die Schönste. Geprägt von der Scheidung der Eltern und von dem, was sich zuvor alles abspielte, bis es zur Scheidung kam, wollte ich es besser machen. Ich hatte einen sicheren und guten Arbeitsplatz. Wir bekamen 1988 nach eingehender Prüfung sogar ein Pflegekind, ein kleines Mädchen, das Carmen unter der Woche betreute. Finanziell konnten wir uns auch mal etwas leisten. Wir gingen mal wieder aus, unternahmen an den Wochenenden etwas. Es funktionierte, wir hatten große Zukunftspläne. Und wir waren stolz und glücklich.
Alles war mit dem 28. August 1988 vorbei!
Anfangs konnte durch Operationen vieles verbessert werden. Ich selbst hoffte sogar wieder in meinen Beruf als Schreiner einsteigen zu können. Es war eine Illusion wie mir später klar wurde. Ich musste akzeptieren mit meinen Behinderungen zu leben. Ich kann es aber immer noch nicht richtig begreifen. Heute bin ich immer noch in medizinischer Behandlung, um zu erhalten, was durch Operationen erreicht wurde.
Dieses Erhalten wird aber von Jahr zu Jahr schwieriger. Gesundheitlich werden die Beschwerden, bedingt durch die Verletzungen, eher mehr.
Nach dem Unglück war natürlich auch jede Menge Bürokratie zu erledigen. Ich selber konnte diese Aufgaben nicht wahrnehmen da ich in den ersten Monaten ja nicht mal ansprechbar, geschweige denn in der Lage war, diese Aufgaben zu erfüllen.
In meinem Fall wurden die Erledigungen der ersten Formalitäten von nahen Verwandten übernommen. Später als ich mich dann äußern, konnte übertrug ich diese Aufgabe einer einzelnen Person, von der ich zu dem Zeitpunkt noch dachte Vertrauen zu können. Ein Fehler wie ich erst Jahre später feststellte.
Leider gibt es Menschen, die selbst solche Situationen ausnutzen.
In einer Ausnahmesituation wie dieser wäre es sehr wichtig, von offizieller Seite direkte Unterstützung zu erhalten. Das heißt, dass Amtspersonen sämtliche Formalitäten im Interesse des Opfers erledigen sollten, es keine gesetzlichen Fristen geben sollte, um Ansprüche zu stellen usw.
Zum ersten Jahrestag bekam ich von der Landesregierung eine Einladung zu einem Gottesdienst in Ramstein. Kontakt mit anderen Opfern hatte ich nur im Krankenhaus. Meine Verletzungen waren aber so schwer, dass alle anderen schon vor mir entlassen wurden. So fuhr ich an diesem ersten Jahrestag nach Ramstein, mit dem Gedanken jemanden zu finden, der auch betroffen ist. Vor der Kirche wurde ich von Heiner Seidlitz angesprochen. Ich erfuhr, dass sich eine Gruppe gebildet hatte. Ich wurde eingeladen. Meine Hoffnungen wurden erfüllt.
Heiner Seidlitz, Sybille und Hartmut Jatzko und Franz Xaver Ruprecht hatten eine Möglichkeit geschaffen, dass Betroffene der Flugschau zusammenfinden können. Es gab alle vier Wochen ein Treffen. Ich nahm jeden Termin wahr, an dem ich konnte, nur unterbrochen durch Krankenhausaufenthalte. Auch heute treffen wir uns immer noch regelmäßig. Zusammen kämpften wir jahrelang für einen Gedenkstein, gestalteten zusammen unsere Jahrestage, hatten Ansprechpartner bei Problemen, bekamen Kontakt nach Italien zu einem Museum in dem die Flugzeugtrümmer ausgestellt sind, erlebten traurige aber auch viele schöne Stunden zusammen. Zu den Rückschlägen zählte aber auch der Verlust von einigen Mitgliedern unserer Nachsorgegruppe, die viel zu früh starben. Jahre später und immer noch an den Folgen der Flugschau.
Ramstein kann ich nicht vergessen. Aber ich lernte damit zu leben. Wenn jemand sagt: "Es sind nun doch schon so viele Jahre vergangen, warum immer noch darüber reden müssen? Warum immer noch daran denken?" . Dann sage ich, dass auch nach so vielen Jahren meine Lieben nicht wieder lebendig werden und dass mir auch nach so vielen Jahren immer noch keine gesunde Haut nachgewachsen ist.
1994 habe ich dann zum zweiten Mal geheiratet. Entgegen meiner anfänglichen Einstellung nach der ich ja nie wieder heiraten wollte. Das Risiko, nochmals jemanden zu verlieren, der mir etwas bedeutet, wollte ich nicht noch einmal eingehen. Aber es kam dann doch ganz anders. Heute bin ich wieder Vater von drei Kindern.
Ein Grund, weshalb ich damit auch nicht abschließen kann ist die für mich unzureichende Aufklärung des Unfallhergangs. Ein Eingeständnis in der Form: Ich bin Schuld, wir tragen die Verantwortung, es tut uns Leid........ Von keiner offiziellen Seite kam je ein Brief oder eine Stellungnahme mir gegenüber. Alles, was ich weiß, habe ich durch die Presse erfahren.
Auch die anfänglich von unseren Politikern versprochene unbürokratische Hilfe, blieb größtenteils aus. Ich musste und muss auch heute noch alles belegen und bescheinigen lassen. Ich habe Ordnerweise Akten von Behörden und Ämtern. Man ist froh, wenn man bei dieser Menge von Bescheiden dann auf Jemanden trifft, der auch menschlich handelt. Aber leider sind diese Mitarbeiter auch wieder an irgendwelche unsinnigen Gesetze gebunden. Da nützen alle Versprechen der Politiker nichts, wenn sie nicht bereit sind, Vorschriften und Anordnungen zu ändern.
Finanziell erhalte ich eine Erwerbsunfähigkeitsrente und eine Ausgleichszahlung, damit mein Einkommen dem entspricht, als ob ich weiterhin in meinem Beruf tätig wäre.
Ein großes Anliegen von mir ist es noch, jemanden zu finden, der damals erste Hilfe leistete und sich vielleicht noch an mich oder jemanden von meiner Familie erinnern kann. Auch Bilder vom Flugtag selbst auf denen zufällig jemand von uns zu sehen ist suche ich schon die ganzen Jahre über.
Jeden Tag die gleichen Erinnerungen, jeden Tag die gleichen Fragen die man sich stellt. Und dazu noch die körperlichen Wunden. Manchmal weiß ich nicht, wie ich die letzten 25 Jahre rumbrachte. Was würden sich Carmen und Nadine von mir wünschen, wenn sie mich sehen könnten? Was würde man sich von seinem Partner wünschen, wenn man wüsste, dass er bald alleine ist? Jedenfalls nicht, dass er sich aufgibt! Aber manchmal ist es schwer.
Eintrag in meinem Gästebuch an Heilig Abend 2014 :
Liebe Mama, lieber Papa, wir wollen uns heute bei euch auf diesem Weg bedanken. Jeden Tag zeigt ihr uns, wie sehr ihr uns liebt. Egal was auch passiert, wissen wir, dass ihr uns immer unterstützt. Ihr nehmt uns unsere Ängste und zaubert uns jeden Tag ein Lächeln ins Gesicht. Ihr schenkt uns mehr, als wir euch jemals wieder zurückgeben könnten. Wir sind drei glückliche Töchter, die sehr stolz auf euch sind! Ihr habt uns Papas Geschichte früh erzählt und uns so an den Erinnerungen der Vergangenheit teilhaben lassen. Wir erkannten, wie wichtig Zusammenhalt, Unterstützung und Ehrlichkeit in einer Familie ist. Wir sind froh, dass wir euch haben!
''Familie ist, wo das Leben beginnt und die Liebe niemals endet.''
Ihr seid die tollsten Eltern, die wir uns wünschen können. Wir lieben euch! Eure drei Engelchen Daniela, Corinna und Sabrina